Es geht um Hupen. Und Fußball. Und spätestens jetzt haben alle Männer auf „weiterlesen“ geklickt. Außer Dombo.
Es verspricht ein ruhiger Abend zu werden. Russland spielt gegen Spanien, Spanien ist in der Favoritenrolle. Auch wenn sich die EM 2008 bisher einen Dreck um Statistiken, Analysen und Prognosen geschert hat, wäre es doch schön, wenn heute der Favorit auch mal gewinnt. Nicht, weil ich Spanien gerne im Finale gegen Jogis Löwen sehen möchte, nein. Der Grund ist ein ganz anderer, eine Ausgeburt eines – in diesem Bezug – gänzlich am eigenen Vorteil interessierten Geistes: Ich möchte endlich mal wieder in Ruhe schlafen!
Der Spanier an sich ist in Augsburg nämlich selten anzutreffen. Logische Konsequenz: Der in Form eines Autokorsos (eigentlich ja „Autocorsi“, aber selbst Bayern 5 verwendet mittlerweile schamlos den alemannischen Plural) manifestierte Euphemismus des „Hupkonzerts“ könnte heute Abend tatsächlich Spielpause haben.
Um eine Sache klar zu stellen: Die EM hat mich. Ich reite ganz oben auf der Welle der Begeisterung, ich habe ein Trikot „unserer Jungs“ (das 74er Retro-Trikot – eine Neuanschaffung zur WM 2006), ich habe das Viertelfinale public geviewt und dürste nach den neuesten News aus Tenero. Nur diese Autokorsos – ich verstehe das nicht.
Ich erinnere mich noch genau an 1990, die WM in Italien. Das Turnier selbst ging an mir völlig vorbei – nur an den Autokorso kann ich mich erinnern. Ich bin von dem Gehupe aufgewacht. Von dem Autokorso. Singular. Vorher war da keiner. Und ich kann mich an keinen in den folgenden 16 Jahren erinnern.
Dann war die Welt zu Gast bei Freunden. Die Welt brachte ihre Hupen mit… und ließ sie hier.
Was ich allerdings in den letzten zwei Wochen hier im Herzen Augsburgs erlebt habe, stellt alle Erfahrungen von der WM 2006 in den Schatten. War der Autokorso damals noch ein spontaner, ungeplanter Ausbruch von Freude und Emotion über ein gewonnenes Spiel, kommt es mir heute so vor, als ob die fahnenschwenkende Straßenblockade verpflichtender und abschließender Bestandteil eines Fußballspiels ist. Wie das Abspülen, nachdem man Freunde zum Essen eingeladen hatte. Oder das Zurückbringen der Plastikbecher nach dem Public Viewing. Ist ja Pfand drauf.
Gestern Abend die bisherige Klimax der Korso-Kultur: Deutschland ringt gerade eben so im Halbfinale die Türkei nieder. Zwei Minuten nachdem Bassimo Mousakka die Partie nach gefühlten 45 Minuten Nachspielzeit endlich abgepfiffen hatte, ertönte, noch leicht schüchtern, das erste Horn:
hup?
Was folgte, kann man getrost als „Ruhe vor dem Sturm“ bezeichnen. So wie sich das Wasser bei einem heran rollenden Tsunami zurückzieht, so schien die Stadt kurzfristig leiser zu werden. Ein tiefes Luftholen bevor die deutschen Fans die Trompeten von Jericho an ihre SchwarzRotGold-geschminkten Lippen führen.
Dann brach die Hölle los.
Vectras, die 7er-BMWs niederhupten. Civics, die Linienbusse anpöbelten – und zwischendrin zahllose Cabrios mit klassischer 4-4-2-Aufstellung: 4 Mädels auf dem Verdeckkasten, 4 Flaggen im Wind und vorne zwei Typen mit Schweinsteiger-Gedächtnis-Dachs auf dem Kopf.
Völlig fassungslos betrachtete ich aus einem Fenster im 4. Stock das Spektakel, dass sich da in der Augsburger Innenstadt abspielte. Die Polizei, in ihrer unendlichen Weisheit, machte das, was sie in solchen Fällen am besten kann: Sie sperrte Straßen. Aber nicht etwa die kleinen Seitenstraßen, die in die Wohngebiete führen, nein. Die Augsburger Hauptstrassen wurden dicht gemacht. Der Erfolg blieb nicht lange aus. Die umgelenkten Korsopiloten bahnten sich hupend, johlend und fahnenschwenkend ihren Weg durch die Augsburger Altstadt. An Schlaf war nicht zu denken.
Der wirtschaftliche Schaden der während der EM durch nicht ausgeschlafene Arbeitskräfte entstanden ist, wird wohl nie ermittelt werden. Und auch, ob der Schaden eventuell durch ein gestiegenes Konsumverhalten ausgeglichen wird, wird wohl ungeklärt bleiben. Denn als ich heute bei der Kfz-Innung-Schwaben anrief, ob man denn schon Zahlen über die in Autokorsos qualvoll zu Tode gehupten Signalhörner habe, traf meine Anfrage auf unverhohlenes Unverständnis.
PS: Spanien führt 😀
Eine Antwort
"Der Typ hat echt einen an der Waffel…" waren die Worte des mittleren Bruders, als er nach dem Lachen wieder sprechen konnte. Und mir ging es nicht anders!
Flo, ich danke dir für diesen Lacher zum zweiten Halbfinale und: ich hatte schon vor der Überschrift auf "weiterlesen" geklickt 😀