Unverschämtheit! Dieses Museum lenkt ab vom Wesentlichen. Alleine schon das Foyer, welches sich dem Besucher eröffnet, wenn man das Gebäude mit der Grundform eines abgerundeten Dreiecks betritt, ist zu tiefst beeindruckend. Und hat man diesen Punkt erst einmal erreicht, beginnt auch noch eine Zeitreise. In einem Aufzug! Im Stile von Raumschiff Orion (die älteren Leser können sich höchstwahrscheinlich erinnern) wird man in eine andere Zeit teleportiert transportiert. Und dann steht man da, ausgespuckt aus dem Raumkapselaufzug und starrt auf ein Pferd. Das soll der Startpunkt unserer modernen Mobilität sein? Ja, das ist er und wir schreiben das Jahr 1886, im achten Stock eines architektonischen Meisterwerks, dem Mercedes-Benz Museum.
Doch irgendwas ist anders. Um mich herum wuseln keine Grundschulklassen laut grölend und auch keine japanischen Reisegruppen wackeln im Entengang auf acht Ebenen durch die Mythos- oder Collectionräume. Nein, um mich herum sind ausschließlich Nerds. Nicht viele, maximal 30 und das Beängstigende: Ich bin Teil dieser Gruppe, der auf Einladung von Mercedes-Benz ein ganz besonderes Erlebnis bevorsteht: Eine Nacht im Museum. Also alleine mit 160 Fahrzeugen, 19 Motoren, 2 Flugzeugen, 1 Boot und eben 30 Automobilenthusiasten, die als Blogger ihr Unwesen treiben. Das kann ja spannend werden!
Könnte heiter werden: Alleine mit 30 Bloggern im Mercedes-Benz Museum
Und das ist es in der Tat, denn erstens hat Mercedes-Benz den Online Junkies wirklich keine Grenzen gesetzt auf den 16.500 m² Ausstellungsfläche und zweitens steht uns mit Frank Knothe ein exquisiter und eloquenter Kenner der Materie für unsere bohrende Fragen zur Verfügung. Der früherer Baureihenleiter der S-, SL- und SLK-Klasse schöpft dabei aus einem Repertoire von 40 Jahren Daimler und hat somit sogar noch den großartigen Pkw-Entwicklungschef Rudolf Uhlenhaut erleben dürfen (zu diesem Mann und dem Auto schlechthin mehr auf asphaltfrage.de). Wir Blogger durften vor allen Dingen schmunzeln, als Knothe uns erzählte, wie er 1967 einer internen Fahrzeugpräsentation vor dem damaligen Vorstand beiwohnen durfte. Es ging um einen echten „Power-Benz“, denn Versuchsingenieur Erich Waxenberger hatte kurzerhand den 6,3l V8 Motor aus der damaligen Repräsentationslimousine 600 in die zierliche Pagode verpflanzt. Das Ergebnis: Der mit 250PS befeuerte SL hüllte auf dem Versuchsgelände in Untertürkheim erst die Vorstände in Rauch und radierte dann zwei schwarze Striche auf den Asphalt, bevor er auf der Einfahrbahn verschwand. „Das ist wohl kein Projekt für uns“ war die lapidare Aussage des Vorstands und der Tod des W113 Muscle Cars.
60 Jahre Mercedes-Benz SL und eine Geschichte zum schmunzeln
35 Jahre später gibt sich Mercedes-Benz deutlich weniger konservativ, denn 30 autoverrückte Sonderlinge auf millionenschwere Einzelstücke loszulassen, zeugt von Mut und Vertrauen in diese Aktion. Doch der Mann hinter dem Projekt, Thilo Wessel, gibt sich auch äußerst gelassen und versteht es geschickt, den anfänglichen Respekt der Blogger vor den Pretiosen zu lockern. Vielleicht hilft den Gästen aber auch die Erkenntnis, dass Berta Benz nicht durch die in Form einer Doppelhelix verschlungenen Besucherwege spukt, aber durchaus die DNA der modernen mobilen Gesellschaft zu spüren ist, wie sie von den Herren Carl Benz und Gottlieb Daimler vor 126 Jahren definiert wurde.
Information Overflow: Schlafen im Museum ist nahezu undenkbar
Und man kann erleben, wie die Zeit rast. Nicht nur in der Entwicklung des Automobils von der motorisierten Pferdekutsche im achten Stock zur S-Klasse Plug-in-Hybrid im zweiten Obergeschoss, sondern auch vom Betreten des Mercedes-Benz Museums nach Sonnenuntergang bis zum Erblicken des Sonnenaufgangs auf der hauseigenen Dachterrasse. An Schlaf ist bei der Nacht im Museum eigentlich nicht zu denken, doch irgendwann übermannt auch mich die Müdigkeit. 6:30 Uhr zeigt mein iPhone an, als ich mich erschöpft neben dem Mercedes-Benz 300 SLR Uhlenhaut Coupé von 1955 in meinen Schlafsack rolle. Doch der Schlaf ist unruhig. Welches Exponat hat mich auf meinem Rundgang eigentlich am meisten fasziniert? Ich weiss es nicht. Kollege Jens Stratmann kann sich immerhin auf 15 Fahrzeuge beschränken und Teymur Madjderey hat den Großteil dieser Juwelen in einem kleinen Film wunderschön zusammngefasst. Um 7:45 Uhr reisst mich der penetrant schlurfende Schritt der Putzfrau jäh aus den Sternen Träumen und ich muss meine Reise durch die Zeit beenden. Ohne raumkapselartigen Aufzug, sondern zu Fuß, mit meinem kleinen Rollkoffer im Schlepptau. Der Ausgang im Erdgeschoss ist nach neun Stunden erreicht. Eine beeindruckende Zeitreise ist vorbei. Ein Dank an den Erfinder des Automobils für diesen Tripp.
Bewegt! 9 Stunden Programm mit 160 Fahrzeuge aus 12 Jahrzehnten auf 8 Etagen
Doch auch zu normalen Öffnungszeiten ist das Mercedes-Benz Museum immer einen Besuch wert. Sowohl für MINI Aficionados als auch für Personen, die nichts mit dem Automobil als solchen anfangen können (soll es tatsächlich geben!). Für den Rest bleibt die bigblogg Bilder Galerie.